Interviews zu Anwendungsfeldern

Die folgenden Transkripte basieren auf dialogischen Interviews, die von Helga Repnik (Projektgruppe Dialogprojekt Arbogast) im Zuge ihrer Diplomarbeit »Vom gegeneinander reden zum miteinander denken« in der Zeit von Dezember 2008 bis September 2009 geführt wurden.

Ich war fasziniert von dieser Art der Unternehmensorganisation [Betriebs- und Besitzgesellschaft] und der Integration von Mitarbeiterbeteiligungsmöglichkeiten. Die Möglichkeit dialogischer Kommunikation war für mich zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema, sondern – es hat so etwas, wie eine Kultur gegeben, in diese Richtung, kann ich jetzt nachträglich sagen. Da habe ich gesagt: Okay, ich habe zwar keine Ahnung von diesem Ding, aber es gibt so viele Menschen hier, die haben eine Ahnung. Es wäre günstig für die Entwicklung des Unternehmens – dass es eine Begleitung in dieser Art von Kultur gibt. Dass sie erhalten bleibt und ausgebaut werden kann.

Der Betrieb ist dann ziemlich schnell von 40 auf über 100 Mitarbeiter angewachsen – so in meiner Zeit. Es gab Übergänge vom damaligen Betriebsgründer, zur jetzigen Form. Wir haben uns entwickelt, von einer kleinen Gesellschaftsstruktur zur großen, wo sehr viele Mitarbeiter, 11 inzwischen beteiligt sind. Und da kann man schon spüren, dass da ein irrsinnig hoher Bedarf an Kommunikation vorhanden ist. Und was ich da erlebt habe in den letzten 9 Jahren, was das anbelangt, so in Bezug auf zwischenmenschliche Kommunikation: Wie verständigen wir uns? Wie verstehen wir uns? Das war und ist eine unglaubliche Lebens-schule aus meiner Sicht. Da bin ich schon oft kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen und kurz davor in Ekstase zu geraten. Beides ist jeden Tag möglich.

Wir verbrauchen so viel Energie fürs Streiten, um Recht zu bekommen, um uns durch zu setzen. Weißt du, wenn ich das beobachte, was da jeden Tag passiert und wenn ich das ein bisschen herausnehmen kann und ersetzen durch zuhören, durch ernst nehmen, durch miteinander reden. Ich glaube jedes Unternehmen gewinnt dadurch an Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. Das hängt alles zusammen. Und wenn ich jetzt ganz eingeschränkt unternehmerisch denke: Wir verdienen mehr Geld, wenn wir miteinander arbeiten als wenn wir gegeneinander arbeiten. Und das ist jetzt eine ganz hemdsärmelige Definition von mir. Und da wird doch so viel gegeneinander gearbeitet und nicht weil das Thema so schwer ist, sondern weil irgendein Anteil in den Menschen sagt: Nein, der kann einfach nicht recht haben. Und nach einer Stunde Kampf haben wir immer noch kein Ergebnis erzielt – oder? Dialog ist nützlich für das Unternehmen.

Er besitzt eine Form von Effizienz, die einen sehr menschlichen Background hat. Streiten ist Unsinn – auch wirtschaftlich gesehen ein völliger Unsinn. Wenn ich mir das in der Politik anschaue. Ich glaube, mit dem Dialog bekommt man etwas her, was für jedes Unternehmen unverzichtbar wird. Das Unternehmen muss sich als Gesamtorganismus irgendwo hinbewegen, auf ein Ziel zu. Es hat eine Vision, ein Leitbild, irgendetwas was es erreichen möchte, eine Wertelandschaft. So möchten wir sein als Unter-nehmen und das und das möchten wir erreichen- jenseits von Umsatz und Beschäftigungs-zahlen. Die gehören auch dazu, aber mich möchten auch »sein«.

Im Dialog habe ich einen Ansatz, dass ich – wie kann man das bezeichnen – nicht in erster Linie auf mich schaue dabei, sondern auf das, was das Werk oder das Unternehmen braucht. Ich kann mich lösen davon, von mir in dieser Bewusstheit – kann hinschauen, was es braucht – kann hinhören, was jemand zu sagen hat. Und es läuft in mir nicht dieser Film ab, den ich kenne. In dem ich glaube, ich bin der Klügere von uns beiden und wo es darum geht mich durchzusetzen gegenüber meinem Gesprächspartner. Und ich kann schauen, was der zu sagen hat und was das für das Unternehmen bedeutet. Und wenn da Sachen dabei sind, die einen Sinn machen und einen Nutzen stiften für das Unternehmen, dann muss ich nicht auf meinem beharren und bestehen, nur weil ich entweder Autoritätsmacht habe oder eine Persönlichkeitsmacht oder eine andere hierarchische Form darstelle. Dann kann mir von der Putzfrau bis zum Lehrbub jeder sagen: Ich würde das so machen. Dann kann ich das gut annehmen.

Dankbar annehmen, dass es so etwas überhaupt gibt. Ich kann auf einmal Meinungen nicht als etwas Lästiges empfinden, sondern als etwas, was uns weiterbringen kann. Natürlich gibt es auch einige, die uns nicht weiterbringen, aber dann kann ich auch das mit Klarheit sagen. Aber es ist nicht mehr meine Eitelkeit, die hier antwortet. Es ist etwas Größeres – ein anderer Zusammenhang.

Und auf die Frage nach dem Motiv und dem Nutzen: Wieso gerade diese Form der Unternehmensführung? Es gibt keine andere, die in der Lage ist, alle Kräfte zu integrieren. Ja, das ist der Punkt. Alle anderen Formen haben einen >touch< von Machtausübung, von Durchsetzen, von Widerstände brechen. Es kann alles Platz haben, was da so ist. Und das, was im Unternehmen nicht nützlich ist, darüber redet man und scheidet es aus. Aber es geschieht auf eine Art und Weise, in der die Beteiligten eingebunden sind, wo der Mensch als Mensch sich noch wohl fühlen kann und keine Verurteilung oder Abwertung erfährt. Und das ist sowieso etwas Wesentliches. Dialog ermöglicht es, Ansichten respektvoll zu vertreten. Das ist einfach auch wohltuend und das ist die einzige Möglichkeit, wirklich gewinnbringend gemeinsam zu arbeiten. Ohne Reibungs- oder ohne wesentliche Reibungsverluste.

Also der Dialog erleidet im Herbst einen Stillstand. Gerade in einer Phase, wo es so wichtig wäre ihn zu führen, lässt die Situation es einfach nicht zu. Das ist arbeitsbedingt, wie wenn du ständig Fieber hast. Jetzt weißt du genau, du solltest einmal drei Tage im Bett bleiben, damit der Körper sich erholen, regenerieren und zu sich kommen kann und es geht einfach nicht. Das heißt einfach, es kommt zu Eskalationen, zu Streitsituationen nach außen und nach innen. Wo ich dann hingehen muss, darf – und das einfach auch ein bisschen zu mir nehme. Dann kann es auch ein bisschen besser werden. Aber mit den Leuten konkret zum Thema Dialog arbeiten, das geht in dieser Zeit nicht. Das habe ich auch lernen müssen.

Diese Zeit kommt jetzt. Jänner, Februar, März, da haben wir alle Termine schon fixiert, an denen wir das konzentriert machen. Richtig lebendig wird der Dialog aber erst im Alltag. In dieser Form der Konzentration, wo auch eine sichere Umgebung herrscht, ist es relativ einfach zu dialogisieren. Aber im Alltag, wo Druck herrscht, wo Unverständnis herrscht, wo Verlangen herrscht – da bekommt es den Anspruch. Aber, wenn ich das in der ruhigen Form übe und mich dem nähere, kann es im Alltag auch mit der Zeit – werden. Ja, es gibt wahnsinnig schöne Bewegungen nach vorne und es gibt extreme Rückschläge auf diesem Weg – immer wieder.

Wieso machen das nicht mehr Leute? Obwohl jeder weiß, dass das gut ist, oder. Ich glaube, die Menschen tun in erster Linie das, was ihnen vertraut ist. Und wenn ihnen streiten vertraut ist, dann streiten sie eben. – Wenn ihnen schlagen vertraut ist, dann schlagen sie und werden auch geschlagen. Schau, ich arbeite jetzt mit Teamleitern und führe z. B. einen Dialog mit ihnen. Auf einmal merkst du, bei dem brodelt es innerlich, da kämpfen zwei Seiten miteinander. Im Moment zeigt er noch Verständnis, kann sich beherrschen, doch dann auf einmal: Spinnt ihr? Den Schrott könnt ihr sofort vergessen! Dann bricht das aus. Das heißt, er kann für sich nicht verstehen, dass die anderen ihn nicht angreifen und er da weder kämpfen muss, noch Widerstand leisten.

Aber er reagiert, wie es ihm vertraut – vertrauter ist. Und dieses Verhalten kämpft um seine Existenzberechtigung – jetzt in dem Augenblick. C. G. Jung spricht von »Schattenenergie«, die in uns existiert. Und wenn wir sie ein Leben lang mit Streit, Schmerz und Leid genährt haben – will und sucht sie nach Schmerz und Streit und Leid, weil sie ihr vertraut sind.

Bevor das Dialogprojekt Arbogast entstand – haben wir – Vorarlberger Friedenskraftwerk und Bildungshaus Arbogast - Vorarlberger Friedensdialoge in Arbogast veranstaltet. Dialog gibt uns ja auch die Möglichkeit sozusagen an diesem Frieden zu arbeiten. Weil ich glaube, Frieden ist nichts statisches, sondern ist etwas wo wir unser ganzes Engagement hineinlegen müssen, weil sonst ist der Krieg vielleicht naheliegender. Also der Frieden ist nicht irgendetwas, von dem du so sagen kannst, jetzt machen wir einmal nix und dann ist es friedlich. Ich glaube, dass es da schon auch einiger Bemühungen bedarf. Frieden ist für mich eine Kulturleistung. Und der Dialog kann dort hinführen, finde ich. Und darum haben wir ja nach den Vorarlberger Friedensdialogen mit dem Dialogprojekt Arbogast begonnen.

Ich glaube es liegt am richtigen Zeitpunkt und am entsprechenden Setting. Die eröffnende Frage am Anfang. Das Hingehen zum Kontext. Ein Techniker hat einfach einen anderen Kontext als ein Bauer und darauf muss ich auch entsprechend reagieren. Damit ich sozusagen anschlussfähig bin. Ihn dort abholen kann, wo er sich als Experte fühlt. Und ich denke mir, ganz, ganz große Leute oder so irgendwas, sind auch welche, an die man praktisch von allen Seiten her andocken kann. Also sowohl von der praktischen Seite, von der spirituellen Seite, von der emotionalen Seite und von der rationalen Seite. Da hast du ein großes Spektrum zur Verfügung, an das du anknüpfen kannst. Ich muss mir also bei jeder Begegnung überlegen, wo der Punkt ist, von dem mein Gegenüber ausgeht – wo sich sein Basislager befindet sozusagen.

Wir brauchen wieder öffentliche Räume, wo man Menschen zusammenbringt. Wo sie miteinander ein bisschen nachspüren können: Wo sieht der eine das Problem? und Wo sieht der andere das Problem? Ich meine der Dialog der Generationen ist auch nichts anderes, wie einfach die Idee gewesen: Da gibt es einen Seniorenbeirat. Da gibt es einen Jugendbeirat. Das sind zwei Körperschaften, die beraten die Vorarlberger Landesregierung. Und die Senioren haben einen gewissen Blick auf gewisse Dinge und die, die im Jugendbeirat sitzen auch. Und diese Ideen irgendwie einfach einmal zusammenzubringen und ins Gespräch zu bringen. Und wenn noch ein bisschen etwas herauskommt okay – aber das ist nicht die generelle Intention – wie beim Dialog.

Wir haben quasi einen Qualitätsentwicklungslehrgang für Kinderbetreuung designed. Die Fortbildung war konsequent dialogisch aufgebaut, vom ersten Tag bis zum letzten Tag. Das heißt zehn Tage – zehn Kernfähigkeiten. Wobei wir nicht schon am ersten Tag mit der Türe ins Haus fallen, sondern wirklich langsam aufbauen. Aber es ist schon in der Ankündigung vom Lehrgang klar, dass der Dialog eine wesentliche Rolle spielt. Wobei die Erfahrung ist: Die Leute kommen hin und haben keine Ahnung, was das ist. Qualitätsentwicklung in der Kinderbetreuung interessiert sie. Und das interessiert sie eigentlich auch nur darum, weil sie selber im Alltag Situationen erleben, in denen sie sich die Zähne ausbeißen und nicht mehr weiterkommen. Also gibt es ein Bedürfnis nach Problemlösungsstrategien, eine klassische Rezepterwartung. Wir sollen ihnen sagen, was sie tun müssen.

Und jetzt kommen wir mit dem Dialog. Wo alles ganz anders gehandhabt wird. Der auf Erfahrungswissen aufbaut. Und dadurch entsteht ein Spannungsfeld, den ganzen Lehrgang hindurch, das hört bis zum Schluss nicht auf. Da gibt es Referenten, da gibt es Teilnehmer, was beim Dialog widersinnig ist. Also gehen wir aus der Referentenrolle bewusst heraus und steigen in etwas ein, bei dem wir mitergründend sind. Aber es ist schwierig die Balance zwischen den Erwartungen der Gruppe und den Anforderungen des Dialogs zu halten.

Ich glaube, in der Einführung des Dialogs, wie und wofür man ihn einsetzt, das muss für alle Anwesenden sehr transparent und klar sein. Dann kann ich die Verantwortung übergeben, ein Teil des Kreises werden. Nun ist jeder verantwortlich in der Runde, für den Dialog oder für das, was dann passiert. Gerade vor 10 Tagen habe ich einen Dialog mit gut 40 Leuten geführt. Und manche hatten dialogische Erfahrung, manche nicht. Und was klar war, die Grundregeln sind anerkannt worden, sind auch verstanden worden. Nach dem Dialog gab es überwiegend positive Rückmeldungen, aber es hat auch 3-4 kritische, sehr kritische Stimmen gegeben.

Und das Schöne war, also das Zeichen dafür, dass der Dialog für mich funktioniert, war, dass das einfach so hat stehen bleiben können. Also es war ganz klar. Da gibt es jetzt ein paar Leute, die sind ganz anderer Meinung, die haben die Situation ganz anders erlebt und es war aber für alle klar, das hat Platz. Also, das ist für mich das das Wesen des Dialogs. Dass du nicht einer rosigen Stimmlage der Mehrheit entsprechen musst. Und das ist auch nicht anschließend weiter diskutiert worden. In dem Sinn, dass man da irgendwelche Rechtfertigungen, Entschuldigungen oder Richtigstellungen hätte liefern wollen. Sondern es war klar: der Kreis, das sind wir und wir sind halt auch ganz links und ganz rechts und ganz oben und ganz unten.

»Wonach man jagt,

das bekommt man nicht, 

aber was man

werden lässt, 

das fliegt einem zu.«

Martin Buber, Religionsphilosoph